Bis man in Deutschland auf die Straße geht, da muss schon eine Menge passieren. Das habe ich so manches Mal in den letzten Jahren gedacht, wenn ich in den Nachrichten gesehen habe, was in unseren Nachbarstaaten los war. Dort ist die Grenze des Erträglichen anscheinend schneller erreicht.
In den letzten Wochen ist eine Menge passiert. Erschreckend viel – im doppelten Sinn. Und doch bin ich einigermaßen darüber erstaunt, in welcher Zahl und mit welcher Entschlossenheit Deutschland auf die Straße geht. Und ehrlicherweise war ich auch etwas überrascht von mir selbst, als ich mich sagen hörte “Demo in Bremen? Ich bin dabei.” Meine letzte Demo ist gut dreißig Jahre her, und ich kann mich lediglich daran erinnern, dass deshalb schulfrei war. Der Inhalt war damals nicht so von Belang.
Ich ziehe meinen Hut vor den zwei Personen, die sich unabhängig von einander dachten “Wir müssen auch in Bremen auf die Straße. Ich versuche etwas auf die Beine zu stellen.” Sie taten sich zusammen und reiben sich wahrscheinlich jetzt noch die Augen bei dem Gedanken, was sie mit viel tatkräftiger Unterstützung hinbekommen haben. Über 40.000 Menschen an einem nasskalten Sonntag zur besten Mittagspausenzeit für eine Demo “Laut gegen Rechts” auf die Straße zu bekommen…whow.
Es war die erwartet friedliche Veranstaltung. Es wurde viel Lärm gemacht, gelacht, getanzt, ein Tränchen verdrückt und viel Zuversicht verbreitet. Die Reden waren klasse und sich alle einig: Rechts ist keine Alternative für Deutschland.
Ist ein Parteiverbot die Lösung?
Über eine Sache habe ich noch ein paar Stunden nachgedacht. Ist es wirklich eine gute Idee, die AfD verbieten zu wollen? Müssen wir deren Andersdenken in einer Demokratie nicht aushalten und dem anders entgegnen? Natürlich nur, bis der Pfad der Demokratie ganz deutlich verlassen wird. Wir haben auf sämtlichen Demonstrationen in den letzten Tagen das Größenverhältnis ganz gut zurecht gerückt. Aber woran liegt es, dass die Zahl der AfD-Anhänger plötzlich so groß erscheint?
Ich glaube nicht, dass es bei der AfD eine größere Zahl dummer Menschen gibt, als bei anderen Parteien. Die Partei ist momentan nur sehr laut. Und der Politikverdruss der Menschen sehr groß. Ich denke deren Anhänger bilden sich hauptsächlich aus zwei großen Gruppen.
In der ersten Gruppe sind die, die keinen Platz und kein Gehör in der Gesellschaft finden oder einsam sind. Menschen, die in einer schlechten Lebensphase sind und dafür die Schuld bei Anderen suchen. Bei Menschen, die man noch kleiner machen kann, um sich selbst ein Stück größer und besser zu fühlen.
In der zweiten Gruppe sind die Menschen, die die Politik nicht mehr erreicht. Die die Entscheidungen (gegen sie) oder Zusammenhänge nicht mehr verstehen, weil niemand sie verständlich erklärt.
Bekommt man diese Menschen wieder zurück auf den demokratischen Weg, in dem man die Partei verbieten lässt? Oder löst man dadurch eher eine Trotzreaktion aus?
Ein Parteiausschluss zu erwirken ist nicht so einfach. Und mein Favorit des Lösungsweges vielleicht noch schwieriger. Es wäre aber einer, der sich langfristig lohnen könnte: Mehr miteinander reden.
Inhaltlich kann man drüber streiten, aber die Grünen machen eines richtig: Sie erklären Vorhaben und Entscheidungen. Anderen Parteien gelingt das leider nicht. Die Bürger müssen über Entscheidungen aufgeklärt werden. Sie müssen das Gefühl haben gehört zu werden, Entscheidungen beeinflussen zu können. Dazu gibt es übrigens eine ganz tolle Podcast-Folge, die ich hier gerne verlinken möchte.
“Na, dann soll der Klugscheißer Christiansen doch mal in die Politik gehen…”. Ich habe tatsächlich darüber nachgedacht, ob ich da aktiv werden sollte. Es scheitert aber schon bei der Parteifrage. Nach dem Ausschlussverfahren würden zwei Parteien übrig bleiben. Für eine entscheiden könnte ich mich momentan nicht. Ausschließen würde ich es aber auch nicht ganz, denn eigentlich mag ich es nicht so gerne nur zu meckern, ohne etwas an der Situation verändern zu wollen.
Und bei noch einer Frage bin ich zu keiner Antwort gekommen: Ist es wirklich gut die AfD aus sämtlichen politischen Talkshows auszuladen? Ich möchte ihnen wirklich keine Plattform geben. Ich hätte eher die Hoffnung, dass die Vertreter der anderen Parteien rhetorisch und inhaltlich so dagegenhalten können, dass so viele Protest-Wähler merken, dass Rechts keine Alternative für Deutschland ist.
Bei allen großen Fragen bleibt es dabei, dass der Anfang in seinem eigenen Wirkungskreis gemacht werden muss. Macht Lärm, tanzt, lacht, verbreitet Zuversicht und redet miteinander.
6 Kommentare
Toller Beitrag und Gedanken, die zum Denken anregen 🙏👍🏻
Dankeschön. Das freut mich sehr!
Jo, das war mal wieder Top geschrieben. Sehr anregend. Dankeschön
Dankeschön. 🙂
Wie immer, hast du deine Gedanken sehr gut in Wörter gefasst. Toll geschrieben!
Und klasse dokumentarische Bilder!
Ganz lieben Dank, Csilla.